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HAGEN: Die Bürger brauchen wieder mehr Freiheit

Zur Regierungserklärung in der 82. Sitzung des Bayerischen Landtages hielt Martin Hagen, Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion, folgende Rede: 

"Diese Woche gab es eine Pressemitteilung aus dem Bayerischen Sozialministerium, darin war die Rede von den Belastungen von Eltern durch die Pandemie. Was hatte die Regierung zur Linderung dieser Belastung beschlossen? Öffnung der Kitas? Ende von Fern- und Wechselunterricht? Lockerung der weltfremden Kontaktbeschränkungen?

Nein. Eine Allgemeinverfügung zur Öffnung von Blumengeschäften am Muttertag, denn, so das Sozialministerium: 'Gerade in Anbetracht der gestiegenen Belastungen durch die Pandemie soll für die traditionelle Wertschätzung der Mütter durch Blumen genügend Raum geschaffen werden.' 

Blumen zu Muttertag! Das ist es, wonach sich Eltern in Bayern sehnen. Halleluja, unsere Gebete wurden erhört. Die CSU, sie weiß einfach, wo die Familien der Schuh drückt!

Nicht nur dieses Beispiel zeigt: Diese Staatsregierung hat sich in einem Jahr Pandemie von der Lebensrealität der Menschen komplett abgekoppelt. Und die Quittung erhalten Sie jetzt auch in den Umfragen: Minus zehn Prozentpunkte für die CSU, ihre Zustimmung bricht ein. Und das haben Sie sich durch ihre Politik hart erarbeitet und redlich verdient.

Jetzt also als Reaktion auf Ihre fallenden Umfragewerte eine zaghafte Kehrtwende. Ein paar halbherzige Lockerungen. Ein Schritt in die richtige Richtung, das erkennen wir an. Aber: Beileibe kein großer Wurf. Zum Teil setzen Sie schlicht die Öffnungen um, die die MPK bereits Anfang März beschlossen hat. Besser spät als nie.

Und zum Teil nehmen Sie jetzt schrittweise Abstand von dem bayerischen Sonderweg, mit dem Sie die Regeln der Bundes-Notbremse – zulasten der bayerischen Bürger – verschärft haben. Etwa bei den Schulen oder bei der Ausgangssperre.

Was Sie hier heute vorlegen sind Selbstverständlichkeiten, für die Sie weder Dank noch Applaus erwarten dürfen.

Seit dem 2. November sind Gastronomie, Hotellerie, Kultur und Sportstätten in Bayern geschlossen. Das Ganze war als November-Lockdown angekündigt. Er dauert jetzt schon 185 Tage. Der November 2020 wird also als längster November aller Zeiten in die Geschichtsbücher eingehen.

Mitte Dezember haben Sie die Schulen geschlossen. Sie sollten nach den Weihnachtsferien wieder öffnen. Ein Großteil der bayerischen Schüler hat die Schule seitdem nicht mehr betreten, es sind die längsten Weihnachtsferien aller Zeiten.

Der Ausnahmezustand ist zum Dauerzustand geworden. Kein anderes europäisches Land hat das öffentliche Leben so lange in dem Maß heruntergefahren wie wir. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kollateralschäden dieser Lockdown-Politik sind enorm:

  • Volkswirtschaftliche Kosten im dreistelligen Milliardenbereich.
  • Eine halbe Million Arbeitslose, knapp 3 Millionen in Kurzarbeit.
  • Das soziale und kulturelle Leben verödet. Menschen vereinsamen.
  • Die heutige Schülergeneration könnte laut ifo-Institut aufgrund des Unterrichtsausfalls über ihr Erwerbsleben hinweg Einbußen von über 3 Billionen Euro haben.
  • Gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten und solche, die in beengten Wohnverhältnissen leben, leiden unter dem Distanzunterricht.
  • Die Zahl psychischer Erkrankungen ist massiv gestiegen.
  • Ebenso wie die Fälle von häuslicher Gewalt.

Welcher Nutzen steht all dem gegenüber?

Sie sagen, die Maßnahmen seien alle notwendig gewesen, um die Infektionszahlen zu senken und Menschenleben zu retten. Ist das so? Werfen wir doch mal einen Blick auf die Fakten."

"So haben sich die Fallzahlen in den letzten vier Monaten in Deutschland entwickelt (grün). Und so in der Schweiz (blau).

Fällt Ihnen was auf? Erstaunlich, oder?


Schweiz: Keine Ausgangssperre, offene Schulen, offene Geschäfte, offene Skilifte, offene Hotels, seit einigen Wochen auch offene Außengastronomie, Kinos, Theater und Fitnessstudios.
Und die Kurve verläuft fast exakt parallel zu der in Deutschland. Bei der Zahl der Corona-Toten stand die Schweiz in den letzten vier Monaten sogar deutlich besser da als Deutschland.

Ist es wirklich klug, das einfach zu ignorieren?

Ist es klug, wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, die Ihnen nicht in den Kram passen? 

Warum ignorieren Sie, wenn das RKI sagt, dass der Inzidenzwert als alleiniges Kriterium für politische Maßnahmen untauglich ist?

Warum ignorieren Sie, wenn eine Studie der Uni Würzburg herausfindet, dass Kita-Kinder keine wesentliche Rolle bei der Verbreitung des Virus spielen?

Warum ignorieren Sie, wenn eine Studie der Uni Gießen keine statistisch signifikanten Beweise für die Wirksamkeit nächtlicher Ausgangssperren findet?

Etwas, das man übrigens auch leicht erkennen kann, wenn man die Entwicklung in den Bundesländern vergleicht: Die Infektionszahlen sind im FDP-regierten Schleswig-Holstein ohne Ausgangssperre sogar schneller zurückgegangen als in den Bundesländern mit Ausgangssperre.

Warum ignorieren Sie die Erkenntnisse der Gesellschaft für Aerosol-Forschung, die klar sagt: Die Infektionsgefahr lauert in geschlossenen Räumen, nicht an der frischen Luft. Und deshalb sind viele Ihrer Maßnahmen auch unnütz bis kontraproduktiv.

Bewegung und frische Luft sind gesund, und deshalb fordern wir heute mit unserem Dringlichkeitsantrag einen Paradigmenwechsel der Corona-Politik: Nicht 'stay at home', sondern 'let's go outside'! Anstatt den Menschen Aktivitäten im Freien zu verbieten, sollte die Politik sie dazu ermuntern. 

Also: Lockern wir die Kontaktbeschränkung im Freien. Es ist aberwitzig, dass zwei Familien nicht miteinander spazieren gehen dürfen. Öffnen wir die Außengastronomie und zwar unabhängig von der Inzidenz. Es gefährdet niemanden, wenn Menschen im Straßencafé ihren Cappuccino trinken. Ermöglichen wir Kulturveranstaltungen unter freiem Himmel. Schaffen wir die Maskenpflicht im Freien ab, auch auf den Schulhöfen. Allenfalls bei Versammlungen mit vielen Menschen, die eng beisammen stehen, ist diese Maßnahme gerechtfertigt. Lassen wir Sport unter freiem Himmel zu. Und auch Unterricht kann an schönen Tagen im Freien stattfinden. Und: Schaffen wir endlich die wirkungslose Ausgangssperre ab. Hausarrest für unbescholtene Bürger ist und bleibt inakzeptabel!


Ihre Maßnahmen haben zu einer Verdrängung sozialer Kontakte in private Innenräume geführt - also dorthin, wo niemand nachvollziehen kann, was die Menschen tun. Wir wollen, dass sich die Menschen wieder verstärkt rausgehen, dass sie sich bewegen. Dass sie sich dort treffen, wo das Infektionsrisiko am geringsten ist: an der frischen Luft.

Wir haben in den letzten Wochen einen positiven Trend des Infektionsgeschehens erlebt, einen spürbaren Rückgang der Zahlen. Ganz anders zum Glück als von einigen Experten, auch vom RKI, modelliert. Der Impffortschritt und die saisonale Entwicklung, die wir schon im vergangenen Jahr zu dieser Jahreszeit beobachten konnten, zeigen ihre Wirkung. Und das ist eine gute Nachricht.

Wir wollen, dass die frühlingshaften Temperaturen jetzt auch mit einem Corona-politischen Tauwetter einhergehen: Die Bürgerinnen und Bürger brauchen wieder mehr Freiheit. Mehr Leben. Mehr Normalität. Dafür kämpfen wir. Dafür kämpft die FDP im Bayerischen Landtag."