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HAGEN: Gerade in Krisenzeiten bedarf es einer parlamentarischen Kontrolle

Die FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag will das Parlament in der Corona-Krise stärken. Dafür hat sie einen Gesetzentwurf zur Beteiligung des Landtags beim Erlass von Rechtsverordnungen in den Landtag eingebracht. Dieser ist heute in der ersten Lesung. Anbei die Rede des Fraktionsvorsitzenden Martin Hagen:

"In den vergangenen zweieinhalb Monaten haben wir die drastischsten Einschränkungen unserer Grundrechte in der Geschichte unserer Bundesrepublik erlebt. Und das, ohne dass das Parlament auch nur einmal darüber abgestimmt hat. Vier weitreichende Rechtsverordnungen zum Infektionsschutz hat die Staatsregierung seit März erlassen. Sie tat das auf Grundlage von § 32 des Infektionsschutzgesetzes.

Dieser Paragraf ermächtigt die Landesregierungen, durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen und dabei auch diverse Grundrechte einzuschränken – beispielsweise die Freiheit der Person, die Freizügigkeit oder die Versammlungsfreiheit. Eine solche Ermächtigung ist nach Art. 80 (1) GG zulässig, aber nicht alternativlos. Denn Art. 80 (4) GG ermöglicht den Ländern ausdrücklich auch eine Regelung durch Gesetz.

Unser Vorschlag: Nehmen wir uns doch als selbstbewusste Parlamentarier diese Gesetzgebungskompetenz, die das Grundgesetz uns zugesteht.

Das Infektionsschutz-Parlamentsbeteiligungsgesetz, das wir Ihnen heute vorlegen, sieht vor, dass der Landtag seine Gesetzgebungskompetenz wahrnimmt und damit wiederum die Staatsregierung zum Erlass von Rechtsverordnung zum Infektionsschutz ermächtigt, die allerdings – und das ist der entscheidende Unterschied zum Status Quo – der Zustimmung des Landtages bedürfen.

Die Vertreterinnen und Vertreter des bayerischen Volkes sollen bei allen Corona-Maßnahmen das letzte Wort haben, anstatt darüber via Pressekonferenz aus der Staatskanzlei in Kenntnis gesetzt zu werden.
Wir wollen künftig hier, in diesem hohen Haus, über jede Corona-Maßnahme beraten und befinden. Das schafft Legitimität, das schafft Transparenz, und diese Debatten werden unserem Land guttun.

Die Staatsregierung büßt durch unseren Gesetzentwurf kein Stück an Handlungsfähigkeit ein, denn in besonders dringenden Fällen kann sie die Zustimmung zu einer Verordnung auch nachträglich einholen.
Stimmt der Landtag dann aber nicht binnen sieben Tagen zu, tritt die Verordnung wieder außer Kraft.
Wir sind überzeugt: Auch und gerade in Krisenzeiten braucht es eine wirksame parlamentarische Kontrolle.
Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger bedürfen einer parlamentarischen Legitimation.
Eine parlamentarische Beratung kann dazu beitragen, Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen.

Und sie kann zu einer qualitativ besseren Rechtsetzung führen. Dass etwa ein Parkbank-Verbot übertrieben oder eine 800-Quadratmeter-Obergrenze für den Einzelhandel verfassungswidrig ist, wäre im Rahmen einer Beratung hier im Landtag möglicherweise aufgefallen, bevor die Verordnung in Kraft tritt.

Das Wesentlichkeitsprinzip besagt, dass der Gesetzgeber – also wir – wesentliche, für die Grundrechtsverwirklichung maßgebliche Regelungen selbst zu treffen und nicht der Exekutive zu überlassen hat. Diesem Prinzip trägt unser Infektionsschutz-Parlamentsbeteiligungsgesetz Rechnung.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir alle sind doch gewählt worden, um grundlegende Entscheidungen für unser Land und die bayerische Bevölkerung zu treffen. Und nicht, um sie zur Kenntnis zu nehmen.

Insbesondere Sie, die Abgeordneten der Regierungsfraktionen, sind es doch, die sich in ihren Stimmkreisen für die Corona-Verordnungen rechtfertigen müssen.

Also übernehmen Sie doch bitte auch die Verantwortung dafür. Zeigen wir, dass wir selbstbewusste Volksvertreter sind. Ermächtigen wir uns als Parlament selbst. Das Instrumentarium dafür legen wir Ihnen heute mit diesem Gesetzentwurf vor."